Manchmal tut es einfach gut, wenn man erlebt, wenn der Favorit gegen den Underdog das Fußballspiel verliert. Wenn die Außenseiterin auf den letzten Metern das Rennen doch noch gewinnt. Oder wenn man sieht, dass auch der digitalste Digitalmarktführer nur mit Wasser kocht – und das noch nicht einmal sonderlich digital.
Man nehme also den ECommerce-Marktführer der westlichen Welt, mixe das mit dem gängigen „Amazon mischt jetzt auch noch den Lebensmittel-Einzelhandel auf“, addiere jede Menge Digital-Knowhow, gepaart mit exorbitantem Datenwissen und rühre das Ganze mit einer gehörigen Menge an Media-Budget glatt. Heraus kommt – das:
Der erste Eindruck: Der Briefumschlag ist vorne nackt und hinten mit einem grünen Rabatt-Störer bedruckt (nur echt mit Sternchen „ab 80 Euro“). Aber das ist man ja von Amazon gewohnt: Am Ende ist irgendwie alles teurer als gedacht. Im Umschlag: eine dreiblättrige Klappkarte mit aufgespendeter Gutscheinkarte. Hier spricht Amazon von „Gutschein“, nicht von „Rabatt“ – das verwirrt und weist stärker als nötig darauf, dass der Neukundenrabatt an eine hohe Einkaufshürde gekoppelt ist. 80 Euro erreicht man mit Bananen, Gurken und Eiern nur mühsam. Die vier Kasten Bier, die zum Erreichen der Bestellhürde nötig sind, liefert Konkurrent Flaschenpost. de auch deutlich günstiger.
Die Personalisierung: Amazon Fresh ist der Lebensmittel- Schnelllieferdienst für Großstädter. Es ist nur für Amazonistas mit Prime-Mitgliedschaft verfügbar, weswegen das Mailing wohl an großstädtische Prime-Mitglieder geht. Amazon müsste mehr über mich wissen, aber selbst bei der individuellen Anrede hat der Datenkonzern gespart. Dialogmarketing ohne Dialog – muss man erst mal hinbekommen.
Die Gestaltung: Die Waren sind optisch schön inszeniert – aber eben im Schubladenstil eines Onlineshops. Man erhält ein Eindruck vom „viel“ des Warenlagers – aber bekommt keine Lust darauf, die Waren auch einzusetzen. Die Nutzenargumentation fehlt.
Hauptargumentation: „Tausende Produkte für jeden Geschmack“: Schön für Amazon. Denn: Ich persönlich habe nur einen – was nützt mir das also? Versprochen wird Same-Day-Delivery im „1- oder 2-Stunden-Fenster“ – die dazu gehörige Nutzenargumentation unterbleibt. Da sind andere Schnelllieferdienste kommunikativ deutlich weiter.
Zudem krankt die Argumentation an den Sternchen: Amazon unterscheidet bei Lieferpreis und Lieferoptionen zwischen Prime- und Nicht-Prime- Mitgliedern. Warum dieser Unterschied in einem Dialogmailing kommuniziert wird, dass ausschliesslich an Prime-Mitglieder geht und in dem ein ausschließlich Prime-Mitgliedern vorbehaltenes Produkt beworben wird – das wird wohl für immer das Geheimnis bleiben von Amazon Legal in Seattle.
Hatte ich erwähnt, dass die im Mailing kommunizierte Landingpage natürlich nicht auf das Mailing Bezug nimmt – sondern schlicht die Fresh-Startseite im Amazon-Universum ist?
So hat das Mailing bei mir funktioniert: Wenn sich ein regionaler Vorstadthändler niemanden leisten kann, der sich mit Dialogmarketing auskennt und darum der Neffe vom Chef den Mailingtext schreiben muss – dann zieht man wissend die Augenbraue hoch. Wenn aber ein Weltkonzern sämtliche Ingridienzien besitzt, um ein Sechs- Gänge-Dialogmarketingmenü zu zaubern und nur angebrannte Spiegeleier mit Maggi zustande bringt, dann kann man nur den Kopf schütteln. Vielleicht jemanden holen, der sich mit Dialogmarketing auskennt (stehen im Business-Guide auf Seite 32). Wir saugen Honig aus der Erkenntnis, dass auch Amazon schlagbar ist, weil sie doch nicht alles können.
Quelle: onetoone.de